Innere Welt der Kinder

Mein Kind tut mir aus heiterem Himmel weh – Selbstwirksamkeit

Heute beschäftige ich mich mit den ungeliebten, schmerzlichen Überraschungsangriffen unserer Kleinkinder.

Diesmal schließe ich wütende Kinder aus, ich habe dieses Thema schon in anderen Beiträgen ausgeführt.

Es gibt Tage, an denen wir ohne Vorwarnung eine Ohrfeige von unserem Kind kassieren, oder auch einen Tritt vors Schienbein. Wir fallen dann aus allen Wolken, denn kurz davor war noch alles eitel Sonnenschein. Wie aus dem nichts, kriegen wir die feinsten Schmerzen, frei Haus geliefert.

Was ist nur los mit unserem Kind?

Will mir mein Kind weh tun?

Nein, denn ein Kleinkind kann noch keine richtige Empathie empfinden. Es lebt in der Vorstellung, dass wenn es selbst keinen Schmerz empfindet auch kein anderer diesen verspürt. Die dazu benötigten Gehirnbahnen, entwickeln sich erst mit der Zeit.

Sie und alle anderen Menschen sind für sie eins. Wenn Kinder Schmerzen haben, gehen sie davon aus, dass alle Menschen diese Schmerzen haben. Wenn ihnen nichts weh tut, denken sie, es empfindet auch kein anderer Schmerz.

Unsere Kinder wissen also noch nicht, dass es uns weh tut, wenn sie uns hauen (treten, beißen, an den Haaren ziehen). Um dies zu erkennen, muss sich das Kind in uns einfühlen können. Sie müssen sich vorstellen können, dass es uns weh tun, obwohl im ja nichts weh tut.

Im Alter zwischen 3 und 5 Jahren entwickeln unsere Kinder langsam die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Das Kleinkind erkennt nun, dass andere Perspektiven (Gedanken und Gefühle) existieren. Ein Kind ist deswegen aber nicht von einem auf den anderen Tag plötzlich empathisch und kann sich jetzt in jeden einfühlen.

Es ist ein langer Prozess, bis die volle Bandbreite der Perspektivenübernahme erreicht ist! Laut  Robert L. Selman (ein amerikanischer Psychologe) dauert es bis zum 15 Lebensjahr. Er geht sogar davon aus, dass Kinder eine andere Perspektive frühestens mit 5 Jahren übernehmen können.  Vorlesung „Stufenmodel von Robert Selman“  „

Jedes Verhalten unseres Kindes hat Sinn

Wenn wir genauer hinsehen und in die innere Welt unseres Kindes eintauchen, wird klar, welches menschliche Bedürfnis unser Kind sich mit seiner Handlung erfüllen will. Die Handlungsweise des Kindes, ist schlicht und einfach eine Strategie um dieses Bedürfnis zu stillen. Es gibt keine negativen Bedürfnisse (also solche die einem anderen schaden)! Menschliche Bedürfnisse sind immer positiv. Hier steckt die Philosophie der „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg, dahinter.

Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, schaut mal hier rein:
Die Gewaltfreie Kommunikation

„Alle Form von Gewalt ist ein tragischer Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse“
Marshall B. Rosenberg

Ok, dann lasst uns nachsehen welche Bedürfnisse es sein könnten. Ich beschreibe drei, der mögliche Bedürfnisse, welche mit der Strategie „überraschendes Hauen (Treten, Beißen, usw.)“ sich das Kind erfüllt will:

1. Selbstwirksamkeit

Als mein Herzensglückskind ca. 2 Jahre alt war, fing er an, mir kräftig an den Haaren zu ziehen. Ich schrie lauthals „AAAAUU!“ Der kleine Kerl hatte ganz schön viel Kraft in seinen Ärmchen. Völlig fasziniert sah er mich mit seinen großen Augen an und kriegte sich anschließend vor lauter Lachen gar nicht mehr ein.

Jetzt könnte ich denken: „Er findet es also lustig, wenn ich vor Schmerzen schreie.“ und mich dabei wertlos und ungeliebt fühlen. Das wiederum, würde mich so wütend machen, sodass ich ihn anschreie und ihn unsanft wegschiebe.

Doch aus den obigen Ausschlussgründen wissen wir, dass unser Kind uns NICHT weh tun will. Aber warum zur Hölle macht mein Kind sonst so etwas?

Ab dem zweiten Lebensjahr, taucht das Kind stärker in das Ursache-Wirkung-Prinzip ein. Jetzt kriegt es eine Ahnung davon, dass seine Tat eine Wirkung erzielt. Wenn es den Bausteine-Turm umwirft, kracht es laut. Wenn es den Lichtschalter drückt, geht das Licht an, oder aus.

Wir Menschen sind soziale Wesen, also wächst die Selbstwirksamkeit auch wenn die Kinder im Kontakt mit Menschen, ihre Wirksamkeit erleben. Das (aus unserer Sicht aus heiterem Himmel passierende) Hauen, Haare ziehen, auf den Bauch springen, Treten, usw. – die Ursache) inszeniert unser Kind oft nur, weil es die starke Wirkung (unser Aufschrei) schlichtweg fasziniert. Und nicht um uns weh zu tun!

Es ist ausgesprochen wichtig, dass wir das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit unserer Kinder  nähren, denn dies ist die Überzeugung, dass sie in einer bestimmten Situation etwas erreichen oder bewirken können.

Unser gesamtes Handeln, wird mehr von der Einschätzung unserer Selbstwirksamkeit geleitet, als von unseren tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten.

Die Frage, die sich uns im Leben immer und immer wieder stellt, ist:

„Kann ich das?“
Bei einer positiver Einstellung zur eigenen Selbstwirksamkeit, antwortet die innere Stimme:
„Ja, ich kann etwas bewirken, ich kann das!“

Hat unser Kind eine negative Einstellung zu seiner Selbstwirksamkeit, fühlt es sich großteils dem Leben ausgeliefert. Auch im Erwachsenenalter wirkt sich ein Mangel an Selbstwirksamkeit negativ auf die Lebenseinstellung aus.

„Muss ich mir deshalb von meinem Kind weh tun lassen?!?“

NEIN, natürlich nicht! Denn das Hauen ist ja nur eine Strategie unseres Kindes. Es weiß in deinem Moment keinen anderen Weg, seit Bedürfnis zu erfüllen.

Wir haben die Aufgabe, ihm andere Strategien zu zeigen:

Herausforderungen zugestehen

Ich finde es wichtig, dass wir unserem Kind nicht ungefragt helfen. Denn das pflanzt in ihnen den Gedanken „Ich bin unfähig, ohne Hilfe kriege ich es nicht hin.“. Hören wir auch auf, Tipps zu geben wie „Schau, so macht man das.“ Kinder sind Forscher, sie lernen viel mehr über die Welt, wenn sie es selbst herausfinden.

Wenn mein Kind zum Beispiel die Milch ins Glas füllen möchte, helfen ich ihm nicht ungefragt. Ich kritisiere ihn auch nicht, wenn die Milch auf dem Tisch landet. Unsere Haltung sollte sein „Ich glaube an dich, solltest du scheitern, bin ich für dich da.“

Gestehen wir unseren Kindern Herausforderungen zu, den so wächst ihn ihnen die Selbstwirksamkeit, sie wissen so, dass sie die ihre Welt mitgestalten können.

Wir können die Selbstwirksamkeit (unserer Kinder) auch durch bestimmte Bindungsspiele stärken, wie zum Beispiel durch ein:

Kontigenzspiel

Wir warten bis unser Kind eine Aktivität einleitet (zum Beispiel einen Gegenstand auf den Boden wirft, uns weg läuft, uns an die Nase fasst usw.)

Wir reagieren darauf immer mit demselben (für das Kind lustigem) Verhalten. Das können wiederholte lustige Geräusche oder Bewegungen sein.

Als weitere Variante, können wir mit dem Kind abmachen, dass es bestimmte Bewegungen vormacht und wir jene nachmachen.

Beispiel:

Mein Bruder trägt meinen Sohn auf den Schultern. Wenn mein Sohn ihm die Hand auf die linke  Wange legt, geht er nach links. Wenn er ihm die Hand auf die rechte Wange legt, geht mein Bruder nach rechts. Die Hand auf der Stirn bedeutet „Stopp“. So kann mein Herzensglückskind seinen Onkel „lenken“.

Immer wenn mir mein Sohn auf die Nase drückt, strecke ich die Zunge raus. Er lacht dann aus vollem Herzen, die Zunge verschwindet und der Spaß beginnt von vorne.

Wenn mir mein Sohn an die Wange fasst, mache ich ein fröhliches Gesicht. Beim nächsten Mal mache ich ein trauriges Gesicht.

Das Kind bewirkt eine Handlung meinerseits, sein Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit wird gestillt und außerdem macht es uns großen Spaß. Die Variationsmöglichkeiten sind endlos!

2. Kongruenz

(unser Handeln und unsere Gefühle/Gedanken passen zusammen)

Das Kind fühlt sich sicher, wenn unser Verhalten stimmig ist. Oft wollen wir unserem Kind die „echten“ Gefühle aus Rücksicht nicht zeigen. Wir wollen eine gute Mutter (oder Vater sein). Doch unsere Kinder haben so feine Antennen, was unsere Gefühle angeht. Wenn unser Verhalten nicht dementsprechend sind, versucht unser Kind die „echte“ Mama „hervorzubringen“.

Beispiel:

Ich liege mit meinem Sohn im Bett, um ihn in den Schlaf zu begleiten. Plötzlich schlägt er mir ins Gesicht. Ich falle aus allen Wolken und verstehe die Welt nicht mehr. 

Nein, mein Kind will mir nicht weh tun, weil es sich an meinem Schmerz erfreut!

Was wirklich passiert ist: Heute ist Donnerstag, an diesem Tag haben mein Mann und ich einen  Partnerabend eingeführt. Ich freue mich schon den ganzen Tag darauf, doch jetzt will mein Sohn einfach nicht einschlafen. Es dauert inzwischen schon eine Stunde und er scheint kein bisschen müde zu sein. Meine innerliche Ungeduld wächst und wächst, es ärgert mich, denn ich will zu meinem Partner auf die Couch. Ich möchte aber nicht, dass mein Sohn merkt, dass ich in Wirklichkeit gar nicht bei ihm sein will. Also liege ich seelenruhig da und mime die „gute“ Mutter.

Mein Sohn spürt jedoch meinen Ärger und will seine „echte“ Mama haben. Dies erreicht er durch den Schlag in mein Gesicht in Sekundenschnelle. Ich bin nun ärgerlich und fühle mich hilflos.

Mein Herzensglückskind will sein Bedürfnis erfüllen, diese Strategie (das Hauen) ist die einzige die ihm in diesem Moment „eingefallen“ ist. Ich setzte das Wort „eingefallen“ deshalb unter Anführungsstriche, weil die Kinder darüber nicht wirklich nachdenken, sie lassen sich eher von ihren Gefühlen, sowie von ihrer Intuition leiten.

Ich achte darauf, dass meine Handlungen und Worte mit meinem inneren Erleben zusammenpassen. So fühlt sich mein Sohn sicher. Sein Bedürfnis nach Kongruenz ist erfüllt.

3. Kontakt

Viele Kleinkinder hauen uns, oder andere Kinder, weil sie schlicht und einfach Kontakt aufnehmen wollen. Klar, ist das nicht die beste Strategie, doch unser Kind weiß es in diesem Moment nicht besser.

Wir können dem Kind zur Seite stehen und es fragen „Möchtest du mit diesem Kind spielen? Bitte tippe es ganz vorsichtig an.“.

Oft sind wir in unsere täglichen Tätigkeiten so versunken, dass wir die Not unseres Kindes gar nicht sehen. Das Kind schlägt vielleicht nach uns, weil es auf sich aufmerksam machen will.

Innere Welt der Kinder

Natürlich werde ich meinem Kind sagen, dass ich nicht will, dass es mir weh tut. Doch meinen Fokus lege ich auf die gemeinsame Suche nach dem Bedürfnis, welches sich hinter dem Handeln meines Kindes steckt.

Wenn ich mich nur auf das „Hauen“ konzentriere und das dahinterliegende Bedürfnis des Kindes vernachlässige, wäre es so, als würde ich nur die Öldruckkontrolllampe im Auto ausmachen, anstatt Motoröl nachzufüllen.

Ich weiß, ich wiederhole mich, doch dieser Satz ändert die Sicht auf das Kind und seine Tat nachhaltig und ist so heilsam:

Das „problematische“ Verhalten unseres Kindes ist lediglich eine Strategie, mit der es sich sein menschliches Bedürfnis erfüllen will.

Alles Liebe

Andrea 

 

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Kategorie: Innere Welt der Kinder

von

Ich bin eine (meist) glückliche Mama eines Sohnes. Kaffee und Kuchen, die innere Welt der Kinder, sowie THE WORK sind meine Leidenschaften. Mein Herz schlägt für eine gleichwürdige Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Ich mag dabei helfen, dass ihr euch mit eurem kleinen Menschen wieder verbinden könnt!