Innere Welt der Kinder
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Was geht wirklich in unseren Kleinkindern vor? – Das kindliche Gehirn

„Ich zähle die Minuten, bis mein Kind endlich im Bett ist!“

Hand aufs Herz, denkt ihr euch das an manchen Tagen auch ?

Unser Kind schüttet zum hundertsten Mal das Glas um, die endlosen Wiederholungen von „Er hat angefangen!“, unsere Kinder verwüsten die Wohnung wieder einmal, die zerbrochene Banane ruft bei unserem Kind einen Wutanfall nach dem anderen hervor …

An solchen Tagen wollen wir einfach nur „überleben“ und den Tag überstehen.

Doch nachts, wenn wir im Bett liegen, wird uns klar, dass wir mehr wollen, als nur zu „überleben“.

Wir wollen unsere Kinder ins Leben begleiten, sodass sie sich entfalten können. Wir wollen, dass sie tiefere Beziehungen eingehen können. Wir wollen, dass sie im späteren Leben empathisch und verantwortungsbewusst sind. Wir wollen, dass unsere Kinder ein gesundes Selbstwertgefühl, sowie ein gutes Selbstvertrauen entwickeln. Wir wollen, dass sich unsere Kinder später mit ihren Problemen auseinandersetzten und dadurch wachsen.

Abgesehen davon wollen wir eine tiefe Verbindung zu unserem Kind, also eine Vertrauensbeziehung.

In vielen Situationen entfallen mir, und sicher auch vielen anderen Eltern, meine höheren Ziele. Doch was wäre, wenn wir uns genau dann immer fragen würden:

Was will ich für mein Kind, welche Eigenschaften soll es entwickeln und ins Erwachsenenalter mitnehmen?

Nein, ich fordere nicht auf die perfekte Mama (oder der perfekte Papa)  zu werden, denn diese gibt es nur in unserer Phantasie. Keiner ist perfekt und das ist gut so! Ja, es gibt Momente da gelingt es uns einfach nicht, sich mit dem Kind zu verbinden, meist sind wir dann auch nicht mit uns selbst verbunden.

Wir können uns genau diese Momente ansehen, in denen wir nur überleben wollen, denn:

Die Momente, die wir nur überstehen wollen, sind in Wirklichkeit Gelegenheiten, um unser Kind in seiner Entfaltung zu unterstützen.

Das ist doch mal eine gute Nachricht, oder 🙂

Das Gehirn

(das kindliche Gehirn)

Ihr wisst ja, ich liebe es, mich in die innere Welt unserer Kinder zu begeben. Wir können schwierige Situationen viel besser meistern, wenn wir wissen was genau in unseren Kindern vorgeht. Heute widme ich meinen Beitrag dem Gehirn. Also los, schauen wir uns die verschiedenen Teile des Gehirns (bzw. das kindliche Gehirn), sowie ihre Aufgaben an.

Linke Gehirnhälfte

Diese Gehirnhälfte bringt die Dinge stets in eine Ordnung, sie mag Listen, sie ist logisch und liebt Wörter.

Rechte Gehirnhälfte

Diese Gehirnhälfte kommt ohne Sprache aus, sie ist ganzheitlich, sie sendet und empfängt Signale (die uns bei der Kommunikation helfen – wie Gesichtsausdruck, Stimmlage, Haltung, …). Sie kümmert sich nicht um Ordnung, sondern sieht das ganze Bild (die Bedeutung und Empfindung einer Erfahrung). Sie ist verantwortlich für unsere Emotionen. Sie sendet ein „Bauchgefühl,“ oder eine „Herzensintuition“.

Unteres Gehirn

Hier liegen der Hirnstamm und der limbische Bereich. Dieser Gehirnteil ist der „primitive“, weil er für grundlegende Funktionen (wie atmen), spontane Reaktionen (fliehen oder kämpfen) und für starke Emotionen (Wut und Angst) zuständig ist.

Oberes Gehirn

Dieser Bereich besteht aus dem zerebralen Cortex und seinen verschiedenen Teilen. Hier finden die komplizierteren Prozesse statt.

  • kluge Entscheidungsfindung/umsichtiges Planen
  • Regulation der Emotionen und des Körpers
  • Selbsterkenntnis
  • Empathie
  • Moral

Es ist fast so als hätten wir unzählige Persönlichkeiten in uns, kein Wunder wenn wir in manchen Situationen, wie ein ganz anderer Mensch wirken. 🙂

Die ersten drei Jahre

In den ersten drei Jahren kommt das kindliche Gehirn fast ohne die linke Hirnhälfte aus. Denn sie haben noch nicht gelernt, Logik und die Wörter zu gebrauchen, um ihre Gefühle auszudrücken.

Sie leben im Jetzt. Unsere Kinder sind vollkommen vertieft ins Spiel. Ihnen (bzw. der rechten Gehirnhälfte) ist jetzt egal, ob wir zu spät zum Termin kommen, wenn sie ihr Spiel nicht gleich beenden.

Logik, Verantwortlichkeiten und Zeit existieren für sie nicht. Die rechte Gehirnhälfte (die sie in dem Alter hauptsächlich benutzen) hat keine Ahnung von diesen Dingen.

In diesen ersten 3 Jahren werden deshalb keinerlei bildliche Erinnerungen abgespeichert, so sehr wir auch an unsere ersten drei Jahre erinnern wollen, es wird uns nicht gelingen. Dafür werden Gefühle gespeichert, die direkt ins Unbewusste abgelegt werden.

Emotionale Flut

Unsere Kinder ertrinken bildlich in ihren Körperempfindungen und Emotionen. Erst die linke Gehirnhälfte kann jene Gefühle in Worte ausdrücken. Diese Verknüpfung ist wie ein Surfboard, mit welchem sie auf ihren Gefühlen, wie auf Wellen, reiten können. So erhalten sie den nötigen Abstand und ertrinken nicht mehr in ihren Emotionen. Das kindliche Gehirn formt sich.

Erst wenn die „Warum-Phase“ beginnt, wird die linke Hirnhälfte aktiv. Denn diese, will die Ursache-Wirkung-Beziehungen erkennen, sie will Ordnung in das Denken bringen. Sie will diese Logik in Worten ausdrücken.

Emotionale Wüste

Wenn aber vorrangig die linke Gehirnhälfte benutzt wird, ist es auch nicht besser als die Flut. Die Kinder spüren so ihre Gefühle nicht mehr, sie sind von ihnen abgeschnitten.

Horizontale Integration/Vertikale Integration

Sprechen wir erst mal über die „horizontale Integration“, die logische linke Hirnhälfte soll mit der emotionalen rechten Gehirnhälfte zusammenarbeiten. Dafür ist es notwendig, Verknüpfungen zwischen ihnen zu bilden. Sie sollen ihre eigene Aufgabe erfüllen und gleichzeitig als Ganzes zusammenwirken.

Unsere erwachsenen Kinder werden dann ihre Logik, als auch ihre Emotionen wertschätzen, sie werden ausgeglichen sein und sich selbst und die Welt verstehen können.

Dann gibt es noch die „vertikale Integration“. Die höher entwickelten Teile des Gehirns sollen mit den instinktiven Teilen zusammenarbeiten. (Ich werde in einem meiner nächsten Beiträge darüber berichten.)

Keine Angst, die Natur hat es so angelegt, dass die grundlegenden Verknüpfungen im kindlichen Gehirn erstellt werden, wenn das Kind genug Nahrung, Schlaf und Simulation bekommt.

Bis alle Gehirnteile richtig gut zusammenarbeiten, ist es ein echt langer Prozess, wir dürfen nicht erwarten, dass dies von einem auf den anderen Tag geschieht! Das obere Gehirn zum Beispiel, ist erst mit Mitte 20 vollkommen ausgeprägt.

Die Geschwindigkeit und die Reifung des Gehirns, wird zum Großteil von unseren Genen bestimmt. Doch wir können das Ausmaß der Integration, mit der Art und Weise, wie wir täglich mit unserem Kind umgehen, beeinflussen. Das heißt, wir können beeinflussen wie stark die einzelnen Teile des Gehirns (unseres Kindes) zusammenarbeiten.

Das kindliche Gehirn plastisch, also formbar, im Laufe der Kindheit, aber auch im Erwachsenenalter verändert es sich.  Jetzt wollt ihr sicher wissen, was denn das kindliche Gehirn formt! Ganz einfach: Erfahrungen. Jedes Erlebnis, jeder Mensch den wir lieben, jedes Buch welches wir lesen, jedes Musikstück welches wir hören, usw. formen unser Gehirn.

Das heißt jetzt nicht, dass wir verkrampft jede Interaktion mit dem Kind darauf beschränken das kindliche Gehirn zu vernetzen. Und es heißt auch nicht, dass alles für immer verloren ist, wenn wir Fehler machen. Es zählt die Qualität der Atmosphäre in der Familie, also wie unser Umgang mit dem Kind tagtäglich ist.

Viel mehr können wir in vielen Momenten einfach präsent sein, um unseren Kinder zu helfen sich besser entfalten zu können. Wenn die Gehirnteile gut miteinander verknüpft sind, können unsere Kinder später bessere Entscheidungen treffen, sie haben ein gutes Empfinden für andere und für sich selbst, sie haben Spaß am Lernen, usw.

Wir Eltern können also viel tun, um unseren Kindern Erfahrungen zu ermöglichen, die ihnen helfen ein widerstandsfähiges, gut integriertes Gehirn zu entwickeln.

Verbinden und Umleiten

Marco (6 Jahre alt) will nicht schlafen gehen, er weigert sich in sein Zimmer zu gehen.  Er baut sich im Wohnzimmer auf und sagt im wütenden Tonfall: „Du liebst mich überhaupt nicht, außerdem darf ich im Kindergarten nie neben Steffi sitzen. Ich finde alles so blöd!“ Eindeutig ist seine rechte Gehirnhälfte jetzt aktiv.

Verlockend wäre jetzt, wenn die Mutter mit der linken (logischen) Gehirnhälfte antworten würde: „Natürlich liebe ich dich und erst gestern hast du beim Essen neben deiner Freundin gesessen. Geh jetzt sofort wieder schlafen. “

Doch dann würde die Mutter auf eine undurchdringbare, mächtige Mauer der rechten Gehirnhälfte ihres Sohnes treffen. Das Ganze würde sich hochschaukeln. Wahrscheinlich werden beide am Ende wütend, oder zumindest sehr unzufrieden sein. Sie werden sich, alles andere als verbunden fühlen.

Die Mutter nimmt ihren, von Gefühlen gebeutelten, Sohn in den Arm, streichelt ihn sanft am Rücken und antwortet sanft (mit ihrer rechten Gehirnhälfte): „Ach mich ärgern solche Dinge auch immer. Ich bin so froh, dass genau du mein Sohn bist, denn ich liebe dich so! Wir können gleich morgen früh Ideen sammeln, wie du mehr Zeit mit Steffi verbringen kannst.“

Sie lässt das Kind dann erzählen und spürt wie es sich zunehmend entspannt. Das Kind fühlt sich gehört und umsorgt. Die beiden können das weitere Gespräch mit der Lösungsfindung auf den nächsten Tag verschieben, nachdem die Mutter kurz auf seine Anliegen eingegangen ist.

Das Kind fühlt sich gefühlt. Mutter und Kind stehen in einer tiefen Verbindung.

Wenn ein Kind wütend ist, wird die Logik oft nicht funktionieren, bis wir auf die emotionalen Bedürfnisse eingegangen sind.

Wir haben gelernt die Probleme mit Logik zu lösen. Doch das kindliche Gehirn tickt anders.  Wenn unser Vierjähriger einen Wutanfall hat, weil er das Auto unbedingt haben möchte, welches wir nicht kaufen wollen. Dann ist es eindeutig der falsche Zeitpunkt ihm zu sagen, dass er erst gestern ein Auto bekommen hat und auch der falsche Zeitpunkt ihm vorzurechnen, wie viel Geld wir in diesem Monat schon für Spielsachen ausgegeben haben. Und wenn wir ihm erzählen, dass er doch schon so viele Autos zuhause hat, ist das auch nichts, womit unser Sohn etwas anfangen kann.

Denn es ist die unlogische, emotionale Gehirnhälfte, die ihn gerade mit einem Wutgefühl überflutet, welchem ein Traurigkeitsgefühl folgt. Unser Kind hätte vielleicht das Gefühl, dass wir es nicht verstehen, oder uns seine Gefühle egal sind, wenn wir nicht darauf eingehen.

Denn unser Sohn (natürlich auch unsere Tochter) muss sich erst gefühlt fühlen, bevor wir das Problem miteinander lösen können.

Wenn die Wut nicht mehr so stark ist, können wir zum Beispiel in einem authentischen Tonfall sagen: „Ach, das ist jetzt alles ganz schlimm für dich. Du willst dieses Auto unbedingt haben. Es macht dich so wütend und auch traurig, weil du es nicht haben kannst.“

Es ist wichtig auf die Gefühle des Kindes einzugehen, so sinnlos und frustrierend sie uns auch erscheinen. Für das Kind sind sie „echt“, es erlebt gerade einen Gefühlssturm, welcher es in sich hat.

Es hilft dem Kind, wenn wir im Gespräch auf diese Gefühle eingehen. Ein empathischer Gesichtsausdruck, eine fürsorgliche Stimmlage und ein nicht-verurteilendes Zuhören sind so bereichernd für die Verbundenheit zwischen uns und dem Kind. Außerdem formen viele solche Erfahrungen das kindliche Gehirn nachhaltig. Denn wenn wir Eltern mit unseren Kindern, über ihre Gefühle sprechen, werden sie emotionale Intelligenz entwickeln und ihre eigenen Gefühle und die der anderen Menschen besser verstehen können.

Dann erst können wir die linke Gehirnhälfte unseres Kindes ansprechen und ihm sagen, dass wir ihm heute kein Auto kaufen möchten, weil wir dafür nicht so viel Geld ausgeben wollen.

Nein, es hilft nicht immer. Denn manchmal sind die Gefühlsüberflutungen unserer Kinder einfach zu heftig. Dann können wir nur abwarten und für das Kind da sein, bis sich der Sturm wieder gelegt hat. Manchmal braucht das Kind einfach nur Schlaf oder etwas zu Essen, denn müde oder hungrig können wir selbst auch nicht mehr auf die rationale Ebene wechseln.

Alles Liebe

Andrea

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Kategorie: Innere Welt der Kinder

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Ich bin eine (meist) glückliche Mama eines Sohnes. Kaffee und Kuchen, die innere Welt der Kinder, sowie THE WORK sind meine Leidenschaften. Mein Herz schlägt für eine gleichwürdige Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Ich mag dabei helfen, dass ihr euch mit eurem kleinen Menschen wieder verbinden könnt!

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