So viele Eltern haben das Gefühl, dass ihr Kind nicht auf sie hört. Doch wieso ist das so und was sagen die Experten dazu?
Unsere Kinder wollen sich grundsätzlich mit uns verbinden und zusammenarbeiten
- „Wenn Kinder mit Fürsorge und Respekt für ihre persönlichen Grenzen behandelt werden, dann hören sie tatsächlich auf das, was ihre Eltern sagen, und halten sich in der Regel auch daran. Vielleicht nicht immer und vielleicht auch nicht mit großer Begeisterung, doch im Großen und Ganzen tun sie es.“ (Jesper Juul)
- Der Schweizer Kinderarzt, Remo Largo, schreibt in seinem Buch „Babyjahre“, dass Kinder grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit uns Erwachsenen bereit sind.
- Viele Wissenschaftler betonen, dass Kinder von Anfang an soziale Wesen sind, die gerne mit den Erwachsenen zusammenarbeiten wollen.
- Die Psychotherapeutin, Jean Liedloff, meint, dass es nur unsere eigenen negativen Erwartungen sind, die unsoziales Verhalten beim Kind hervorrufen.
Oft legen wir unseren Fokus nur auf das, was unser Kind nicht macht, anstatt das zu sehen, was unser Kind alles für uns tun. Das liegt meist daran, dass wir selbst gestresst oder sogar überfordert sind. So entstehen tägliche Konflikte, welche unsere Beziehung zum Kind belasten.
Bewusst hinschauen, wie oft unser Kind kooperiert statt uns auf „Mein Kind hört nicht auf mich“ zu fokussieren
Ein Tag im Leben meines Sohnes (damals war er 4,5 Jahre alt):
- Er steht frühmorgens auf, nachdem ich ihn wecke.
- Er zieht sich selbst an. (Nein, das macht er nicht jeden Tag ?)
- Er nimmt hin, dass es nur Müsli zum Frühstück gibt.
- Er hört nach 10 Minuten auf zu spielen, nachdem ich ihm sage, dass wir gleich in den Kindergarten gehen. (Ich habe mir angewöhnt, einen Zeitpuffer zu haben.)
- Er lässt seinen Dinosaurier in der Garderobe des Kindergartens. (Weil das dort so gehandhabt wird).
- Er hält im Kindergarten unzählige Regeln ein.
- Als ich ihn vom Kindergarten abhole, beendet er nach einer viertel Stunde das Spiel mit seinem liebsten Freund. (Für mich ist es ok, solange zu warten.)
- Er lässt den schmutzigen Ast liegen, weil ich sage, dass ich den in der Wohnung nicht haben will. (Habe ihm vorgeschlagen, den Ast am Balkon aufzubewahren – wollte er aber nicht.)
- Er beschäftigt sich mit einem Schneckenhaus, während ich ausgiebig mit meiner Nachbarin quatsche.
- Er wartet geduldig, bis ich das Essen auf den Tisch stelle, obwohl sein Hunger riesengroß ist.
- Er nimmt hin, dass sein Lieblingslöffel gerade im Geschirrspüler ist.
- Am Spielplatz stellt er sich beim Rutschen hinten an, obwohl er so gerne sofort rutschen würde.
- Als ich heimgehen will, schlägt er den Deal vor, noch dreimal zu rutschen und dann zu gehen.
- Er lässt meinen Mann im Büro arbeiten, obwohl er schon vor 10 Minuten gesagt hat, dass er „gleich“ zum Spielen kommt.
- Er lässt unser Besuchskind mit seinen kostbaren Dinosauriern eine ganze viertel Stunde spielen, bevor er sie zurückhaben will.
- Er hört auf, mit den Töpfen auf den Boden zu klopfen, als ich ihm sage, dass mir das in den Ohren weh tut. (Meinen Vorschlag, dass ich aus dem Zimmer rausgehe, nimmt er nicht an, er hört lieber mit dem Klopfen auf, damit er bei mir sein kann.)
- Er räumt seine Lego-Figuren in die Kiste. (Ja, das andere Zeug bleibt liegen, aber immerhin sind die Figuren in der Kiste.)
- Er lässt sich die Zähne drei Minuten lang putzen. (Ein Zahnputzspiel hilft uns.)
- Er lässt sich überzeugen, dass er ohne seinen Feuerwehrhelm besser schlafen kann.
- Er sagt „O.K.“ als ich ihm eröffne, dass ihn heute Papa ins Bett bringt, weil ich noch arbeiten will.
Ein solches Kooperationstagebuch zu schreiben, hält uns vor Augen, wie oft unser Kind kooperiert.
Natürlich gab es an diesem Tag auch viele Situationen, in denen mein Kind meine Wünsche nicht erfüllen wollte und nicht auf mich gehört hat.
Warum hört mein Kind nicht und verweigert sich?
Wenn Kinder nicht auf uns hören und nicht mit uns zusammenzuarbeiten, gibt es 2 mögliche Gründe dafür:
1. Überforderung
Wir haben zu hohe Erwartungen an das Kind. Wenn sich Kinder den ganzen Tag immer nur nach uns Erwachsenen richten müssten, würde das ihre Integrität verletzten. Sie verweigern sich, um sich zu schützen. Oder aber unsere Forderungen an das Kind sind nicht an das Alter des Kindes angepasst.
Katia Saalfrank meint:
“Ziel ist nicht unbedingt, Kinder vor einer Überforderung zu bewahren, sondern diese zu erkennen, zu verstehen und das Kind damit nicht alleine zu lassen.”
Hinweise auf Überforderung, nach Aussprechen unseres Wunsches:
- Eingeschränkte Ansprechbarkeit (Kind reagiert nicht auf Ansprache.)
- Rückzug (Kind zieht sich in sein Zimmer oder woanders hin, zurück.)
- Abgrenzung (Kind vertieft sich in sein Spiel.)
Meiner Erfahrung nach kommen Kinder unseren Wünschen gerne nach, wenn ihre eigenen Bedürfnisse erfüllt sind.
2. Kränkungen
Kinder wollen nicht mehr mit uns zusammenarbeiten, wenn sie gekränkt werden und ihre Bedürfnisse missachtet werden. Dies schädigt auch auf Dauer die Beziehung zum Kind.
Schau hin!
Das große Anliegen des Kindes nach „Kooperation mit uns“ fällt im Fokus auf das Negative oft gar nicht auf. Deshalb sollten wir uns täglich die Tatsache, dass Kinder Teamplayer sind, ins Gedächtnis rufen.
Kein Kind meint es böse und will uns mit seiner Verweigerung ärgern! Stattdessen hängt dieser Widerstand gegen unseren Wunsch meist mit einer Überforderung zusammen. Es steckt also viel mehr dahinter als ein bloßes: „Mein Kind hört nicht auf mich.“
Machtkämpfe vermeiden
Das Kind will die Jacke nicht aufhängen? Man könnte sich jetzt wie der Terminator hinstellen und es erzwingen. Doch ist es das wert? Ich könnte auf das Kind eingehen und sagen: „Magst du die Jacke nicht aufhängen, weil du zuerst deinen Dinosaurier aus dem Zimmer holen willst? Kannst du sie bitte nachher aufhängen?“ Anstatt in das Jammertal: „Mein Kind hört niiiiie auf mich“ zu stürzen.
Ist das Jacke-Aufhängen ein grundsätzliches Problem? Dann würde ich mit dem Kind gemeinsam überlegen, warum das so ist und eine Lösung finden. Oder ich beschließe, dass ich sie selbst aufhänge, weil es mir wichtig ist.
Kompromisse und Hilfe anbieten
Wenn ich gerade das Mittagessen koche und mein Kind gleichzeitig mit mir spielen will, könnte ich sagen „Kannst du in der Zwischenzeit alles für unser Spiel vorbereiten?“ oder „Magst du mir beim Kochen helfen? Nachher können wir spielen“. Oder ich frage mein Kind, ob es einen anderen Vorschlag hat.
Zeit lassen
Die meisten Konflikte können wir mit Zeit lösen. „Spiel bitte fertig, damit wir gehen können.“ Dadurch, dass ich keinen Druck aufbaue, muss mein Kind nicht in den Widerstand gehen. Zeitpolster sind in Situationen, in welchen ich Termine einhalten muss, eine unheimliche Erleichterung. Ich sage früh genug Bescheid, so kann ich viele Konflikte umgehen.
Bedürfnisse wahrnehmen, statt zu kämpfen!
„Nein, ich will jetzt nicht Zähneputzen“, schreit mein Kind. Das geht schon seit Tagen so. Doch diesmal will ich hinschauen, was der Grund für die Verweigerung ist. Klar, Kinder können den Sinn vom Zähneputzen nicht erkennen. Doch bisher hat es mit „Lieder singen“, „Filme zeigen“ oder „Geschichten erzählen“ geklappt.
Wir finden gemeinsam heraus, dass der neue Bürstenkopf seiner elektrischen Zahnbürste härter ist, als der Vorige. Mein Sohn ist in dieser Hinsicht sehr empfindlich. Problem gelöst!
Hier kannst du viele Möglichkeiten nachlesen, deinem Kind das Zähneputzen schmackhafter zu machen.
Verantwortung übernehmen, wenn ich mein Kind gekränkt habe
Wenn ich mein Kind gekränkt habe, sage ich ihm, dass es mir leidtut. „Ich wusste gar nicht, dass dir das so wichtig ist! Es tut mir leid, dass ich dich gekränkt habe.“ Oder auch „Ich hab dich vorher angeschrien, das tut mir leid, es war nicht OK, wie ich mit dir geredet habe.“
Gemeinsame Mission
Unsere Kinder wollen etwas zum Familienleben beitragen. Mein Sohn liebt es, mir beim Kochen zu helfen. Doch ich würde ihn nie dazu verpflichten, denn es soll ein zwangloses Miteinander sein. Ich bedanke mich danach bei ihm und wir freuen uns gemeinsam über das gekochte Essen. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass er sich wertvoll und wichtig fühlt.
Grundsätzliche Verweigerung
Eine grundsätzliche Verweigerung bzw. das „nicht auf uns Hören“ geschieht niemals grundlos. Sondern passiert, wenn wir unserem Kind ständig unseren Willen, unsere Regeln, aufdrängen, es kontrollieren, belehren und bevormunden und es dann vielleicht auch noch strafen, wenn es uns nicht gehorcht.
Mit ihrer Verweigerung drücken sie aus: Mir geht es im Moment gar nicht gut, bitte komm in meine innere Welt und hilf mir!
Es ist ein Hilferuf.
Hören wir hin.
Alles Liebe
Andrea
Ich begleite dich gerne in eine liebevolle Beziehung zu deinem Kind!