Innere Welt der Kinder
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Warum “ Grenzen setzen “ weh tut

Ein Tag mit einem Erwachsenen

Mein Liebster und ich wollen heute zu meiner Mama fahren. Ich bin gerade dabei ein paar Sachen zu packen, als mein Mann ungeduldig ruft: „Trödel nicht rum! Zieh deine Jacke an.“

 Ich entgegne ihm, dass ich gleich komme, schnappe meinen Rucksack und den Schlüssel. Gerade will ich die Haustüre öffnen, da fragt mein Liebster „Musst du nochmals aufs Klo?“. „Nö!“, antworte ich kurz und bündig. „Ich will, dass du trotzdem gehst.“ sagt er trocken.

„Ähm, ok.“, sage ich kleinlaut und fühle mich komisch dabei, am Klo zu sitzen ohne zu müssen. Ich hab vergessen mein Handy einzupacken und husche noch schnell in die Küche um es zu holen. „Wenn du jetzt nicht sofort kommst, dann fahre ich ohne dich! Irgenwo muss man ja Grenzen setzen.“ schreit mir mein Mann von draußen entgegen.

„Komm ja schon.“, murmle ich gedemütigt und steige ins Auto. Wortlos fährt mein Partner los. „Können wir den Radiosender wechseln?“, frage ich ihn nach einer Weile, denn ich würde gerne klassische Musik hören. „Wo kämen wir da hin, wenn immer alles nach deinem Kopf ginge?“, sagt mein Mann und dreht die Popmusik lauter.

Ich bin etwas verstört und froh als wir endlich bei meiner Mutter ankommen. Nach einer herzlichen Begrüßung gibt es Kaffee und Schokoladenkuchen. Ich liebe Schokoladenkuchen. Als ich mir das 2 Stück auf meinen Teller laden will, sagt mein Mann: „Nanana, du hattest heute schon genug. Leg den Kuchen schön wieder zurück.“

Geht´s noch? Ich will gerade lauthals zu protestieren, da schaut er mir bedrohlich in die Augen und sagt: „Wenn du jetzt anfängst zu trotzen, fahren wir sofort nach Hause!“ AUA!! Was ist bloß mit meinem Liebsten passiert? Warum tut er mir nur so weh?“,

„Mit Andrea ist es im Moment so anstrengend und voll nervig. Sie will mir einfach nicht gehorchen! Sie schreit ja förmlich nach Grenzen.“, erzählt mein Mann meiner Mutter. Sie reden noch einige Zeit lang über mich, so als ob ich gar nicht anwesend wäre. Am liebsten würde ich schreien: „Es kränkt mich so, wie ihr mich behandelt!“ Doch ich lasse es, weil ich Angst habe, dass er mir wieder droht.

Ich schweige die ganze Heimfahrt. „Zuhause angekommen flötet mein Partner fröhlich: „Du warst aber brav auf der Heimfahrt. So mag ich dich!“ Ich will nur noch ins Bett. Das muss alles ein böser Traum sein! Hab überhaupt keine Lust mehr, mir meine Zähne zu putzen. Bin so müde. „Willst du, dass die bösen Zahnmonster deine Zähne auffressen?“, beginnt mein Mann zu sprechen. Dann zeigt er mir auf seinem Handy grauenhafte Bilder von Kindern mit schwarzen Zähnen. Eines davon weint sogar. Ich fühle mich völlig unverstanden und vor den Kopf gestoßen. 

Gehorsam putze ich mir meine Zähne. Dann schleiche ich ins Schlafzimmer und ziehe mir die Decke über den Kopf. Plötzlich bricht es aus mir heraus, ich beginne bitterlich zu weinen, das war alles zu viel für mich. Ich schluchze laut und rufe flehend nach meinem Mann. Ich will mit ihm reden. Ich fühle mich so schrecklich. Ich will jetzt nicht alleine sein. 

Doch mein Mann meint, ich müsse jetzt endlich lernen mich selbst zu beruhigen. Er will, dass ich alleine einschlafe. Er schließt die Türe von außen und ich liege wach in der Dunkelheit. Ich spüre Angst und wie sie in meinem Bauch wächst. Fühle mich verlassen. Und falsch. Ich weine mich in den Schlaf und habe das Vertrauen in meinen Partner verloren. 

Ihr habt es vielleicht schon gemerkt. Kein Wort dieser Geschichte ist wahr. So einen Mann würde ich fix zum Mond schießen.

Leider ist diese Geschichte für viele Kinder wahr

Kleine Menschen können sich nicht von ihren Eltern trennen. Sie können sich (im Kleinkindalter) auch nicht bei Freunden ausweinen. Oder sich von außen Hilfe holen. Sie haben keine Lobby. Stattdessen sind sie uns Erwachsenen völlig ausgeliefert. Tag für Tag. Wir sind ihnen in jeder Hinsicht überlegen. Wir haben die Macht, ob wir das nun wollen oder nicht. Und sie vertrauen uns so sehr.

In der obigen Geschichte behandelt mich mein Partner wie ein Objekt. Er ist an meinen Gedanken, Bedürfnissen und Wünschen nicht interessiert. Er hat ein konkretes Bild im Kopf, wie es laufen soll. Er weiß ganz genau, was gut für mich ist. Und ich soll gehorchen. Das ist das höchste Ziel vom “ Grenzen setzen.  „

Jetzt werden vielleicht einige sagen, dass man Erwachsene doch nicht mit Kindern vergleichen kann.

DOCH!

Denn Kinder sind Menschen, wie wir Erwachsenen!

Jesper Juuls Faustregel: Wenn Sie eine Methode für Ihr Kind in Erwägung ziehen, sollten Sie zuerst darüber nachdenken, ob Sie diese auch bei Ihren besten Freunden anwenden würden. Wenn die Antwort ein „Nein“ ist, dann ist es wahrscheinlich auch eine schlechte Idee, diese Methode bei einem Kind einzusetzen. Es sei denn, Sie gehören zu dem Teil der Erwachsenen, die noch nicht erkannt haben, dass Kinder echte Menschen sind.“

(Jesper Juul, 20.9.2014) „

Adultismus ist und bleibt scheiße! Die Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse und Interessen des Kindes müssen genau so ernst genommen werden, wie die der Erwachsenen! Jesper Juul nennt es „Gleichwürdigkeit“.

Ok, schreiben wir die Geschichte neu:

Mein Sohn und ich wollen heute zu meiner Mama fahren. Er ist gerade dabei ein paar Sachen zu packen. Ich schaue auf die Uhr und bin etwas gestresst, denn ich warte schon einige Zeit. „Puh, ich merke, wie ich ungeduldig werde. Kann ich dir helfen zu packen. Damit wir schnell losfahren können?“

„Ich brauche dringend mein Stofftier.“, ruf mir mein Herzensglückskind entgegen. Ein paar Minuten später sind wir startklar. „Musst du nochmals aufs Klo? Spür mal in deinen Körper.“, frage ich mein Kind. „Nö!“, antwortet er kurz und bündig. Ich bin mir bewusst: Es könnte sein, dass er unterwegs doch Pipi muss. Passiert mir auch manchmal. Meine Bedenken könnte ich ihm auch sagen. Wir könnten dann gemeinsam eine Lösung finden. Die Haltung: „Dein Körper gehört nur dir“ lebt in meinen Worten.

Mein Sohn hat vergessen ein bestimmtes Spiel einzupacken und huscht in die Küche um es zu holen. Ich spüre, wie ein kleines Wutmonster in meinem Bauch zu toben beginnt. Will meinen Sohn anmotzen. Fühle mich entwertet, weil ihm meine Wünsche scheinbar egal sind. Ich fühle mich nicht gesehen! Ich will gegen ihn kämpfen …

(The Work hilft mir, meine Themen anzusehen. Denn es hat praktisch nie etwas mit meinem Kind zu tun.)

… bis mein Blick auf den Spruch

„Mein Kind tun nichts gegen mich, sondern für sich!“

fällt, welcher bei der Garderobe an unserer Wand hängt. Ich schließe meine Augen und atme durch. Versuche den Boden unter meinen Füßen zu spüren um wieder zu mir zu kommen. Damit ich wieder klar denken kann.

Mein Sohn kommt mir jetzt mit strahlenden Augen entgegen und ruft: „Ich hab das Spiel! Oma spielt das so gerne mit mir.“ Ich nehme mein Kind in den Arm und alles in mir entspannt sich. Klar verkürzen die Verzögerungen den Besuch bei Oma. Für meinen Partner würde ich das jedoch auch in Kauf nehmen.

Wir steigen ins Auto und düsen los. „Können wir eine andere Musik hören?“ fragt mich mein Sohn flehend. „Das ist mein Lieblingslied. Mag das noch zu Ende hören und dann drehe ich dir dein Lieblingslied auf, ok?“ Er klatscht zustimmend in die Hände. Ich freue mich eine Lösung gefunden zu haben, die für uns beide passt.

Bei meiner Mutter gibt es nach einer herzlichen Begrüßung Kaffee und Schokoladenkuchen. Mein kleiner Mensch liebt Schokoladenkuchen. Als er sich das 2 Stück auf seinen Teller packt, spüre ich ein Grummeln im Magen. Ich habe Bedenken. Bei meiner Mutter erkundige ich mich nach der Zuckermenge im Kuchen. Sie erzählt, dass sie Xylit genommen hat und damit sparsam war. Ich kann mich wieder entspannen.

Nun schütte meiner Mama mein Herz aus und erzähle, wie es mir gerade geht. „In der Arbeit geht es gerade drunter und drüber. Wenn ich dann heimkomme brauche ich Zeit für mich … Herzensglückskind, das ist oft schwer für dich, stimmt´s? …“ Und mein Sohn erzählt dann, wie blöd er es findet, dass ich nicht gleich mit ihm spiele. Wir reden mit ihm anstatt über ihn. So behalten wir alle unsere Würde und bleiben in Beziehung.

Zuhause angekommen ist mein Sohn schon sehr müde. Er hat keinen Bock auf Zähneputzen. „Ich kann gut verstehen, dass du keine Lust hast deine Zähne zu putzen. Es war ein langer Tag. Mir ist es so wichtig, dass deine Zähne sauber schlafen gehen. Soll ich sie dir im Bett putzen? Und wollen wir vielleicht dabei ein Spiel spielen?“ Er sagt: „Aber nur kurz putzen!“ Das ist für mich ok, in Windeseile putze ich seine Zähne.

Mein Sohn schläft meist alleine ein. Nach der Geschichte und dem ausgiebigen Kuscheln, will ich gehen. Da hält er mich am Arm fest und flüstert : „Bleib noch bei mir!“ Ich spüre Widerstand in mir, ich will Zeit für mich. In seinen Augen sehe ich jedoch, dass es ihm wirklich wichtig ist, jetzt nicht alleine zu sein. Ich atme durch und überlege, wie ich mein Bedürfnis nach Autonomie und sein Bedürfnis nach Nähe vereinen kann. Ich beschließe ein Hörbuch zu hören, während sich mein Sohn an mich kuschelt … 

Hören wir auf mit diesem bescheuerten “ Grenzen setzen! „

Dieses übergriffige “ Grenzen setzen „, wie ich es im ersten Teil beschrieben habe, ist für die Tonne. Kinder sind keine Objekte, die dressiert werden müssen. Sie sind Menschen! Ich käme nie auf die Idee meinem Partner Grenzen zu setzen. Nein! Ich will ihm begegnen, seine Wünsche Bedürfnisse und Gedanken erfahren. Und ich lasse ihn teilhaben was in meiner inneren Welt vorgeht! Im ersten Teil meines Textes konnten wir ja eindrücklich erleben, wie weh das tut, wie ein Objekt behandelt zu werden!

Der Vollständigkeit halber möchte ich sagen, dass ich nicht für die Diktatur des Kindes bin. Selbstverständlich bringe ich mich ein und sage was ich will und was ich nicht will. Dann höre ich mir die Meinung meines Sohnes an und versuche ich mit ihm Lösungen zu finden, die für uns beide passen. Ich bin mir bewusst, dass ich die Verantwortung für meine Bedürfnisse und auch jene meines Kindes trage! Und ich bin mir klar, dass mir mein Kind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Auf diesem Wissen basieren meine Entscheidungen. 

Alles Liebe

Andrea

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Kategorie: Innere Welt der Kinder

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Ich bin eine (meist) glückliche Mama eines Sohnes. Kaffee und Kuchen, die innere Welt der Kinder, sowie THE WORK sind meine Leidenschaften. Mein Herz schlägt für eine gleichwürdige Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Ich mag dabei helfen, dass ihr euch mit eurem kleinen Menschen wieder verbinden könnt!

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